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Ausschnitte aus Picassos Süße Rache

Alois Mubretto
La Singe envire a la simple vue de tigre, 1995
Grüne Periode
Simsa la Bimbam
Grand salon du Printemps

In »Picassos süße Rache« rechnet Ephraim Kishon wie schon in dem Vorgängerwerk »Picasso war kein Scharlatan« mit der modernen Kunst ab. Werke von Joseph Beuys und Konsorten werden denen von Rembrand und Michelangelo gegenübergestellt, wobei der Vergleich wohl nicht zu Gunsten ersterer ausfällt.

 

Das Buch ist gespickt mit Kritikerkommentaren über bestimmte Werke, welche man selbst betrachten kann, wodurch die Peinlichkeit der Kommentare sowie der Bilder voll zu Geltung kommt. Dadurch wird die Scharlertanerie dessen demaskiert, was Kishon als Kunstmafia bezeichnet.

 

Neben vielen Briefen vor allem aus Deutschland und Österreich, durch die Kishon erstmals mit seinen Lesern öffentlich in Kontakt tritt, wird in »Picassos süße Rache« das umstrittene Vermächtnis von Picasso veröffentlicht, in dem dieser ausdrücklich davon spricht, dass er seine Bilder zu großen Teilen nur veröffentlichte, um die Kritiker zu verhöhnen, die seine lustigen Werke in höchsten Tönen lobten.

 

Es sei erwähnt, dass Ephraim Kishon kein Laie auf dem Gebiet der Kunst war. Zum einen hat Kishon eine Lehre zum Goldschmied gemacht, zum anderen ist er diplomierter Metallbildhauer und Kunsthistoriker.

 

Folgender Text und die Bilder stammen aus »Picassos süße Rache«.

 

 

 

Franz Kleine
Franz Kleine
Ohne Titel, 1951
Öl auf Leinwand
Privatsammlung

(...) Nach so vielen sarkastischen Seiten, kommt meine Behauptung vermutlich überraschend, daß ich eigentlich gar nichts gegen moderne Kunst habe. Ich plädiere nur dafür, die Schmier- und Schrott-Produktionen neu zu definieren. Wenn die geschätzten Handwerker dieser Branche zugäben, lediglich recht nette Muster für Tapeten, Vorhänge und Krawatten zu entwerfen, oder die Müllhaufen als Witz gemeint wären, dann könnten sie von mir aus ruhig so weitermachen. Leider gibt es aber einen Berufsstand, der dann seine Existenzberechtigung verlieren würde.

 

Ich spreche natürlich von den Päpsten der modernen Kunst, den ehrenwerten Kritikern, die alles tun, damit die Sache nicht auffliegt. Keiner der Päpste würde jemals zugeben, daß seine Religion ein Irrglaube ist. So behaupten auch die Jungs der Moderne nach dem Beuys'schen Dogma steif und fest, daß alles und jedes auf der Welt Kunst sei. Außer dieses Buch, natürlich. Von mir aus kann also jeder schmieren und basteln, was er will, wenn nur der Bürgermeister dafür nicht in mein Portemonnaie greifen muß. Und mir selbst sollen die hochgeschätzten Herren Kritiker mit dem Zeug vom Leibe bleiben. Vor allem aus gesundheitlichen Gründen.

 

Das Hauptwerk des wichtigsten Vertreters des abstrakten Expressionismus, Franz Kline, kann ich zum Beispiel noch verhältnismäßig ruhig betrachten (Blutdruck 85 zu 140). Dann aber lese ich leichtsinnigerweise nachfolgende Kritik aus berufener Feder darüber, und mein Blut gerät in Wallung (105 zu 170): »Fünf breite schwarze Pinselstriche schwimmen auf einem reich strukturierten roséfarbenen Grund. Kline ließ sich von technischen Zeichnungen anregen, vor allem von halbfertigen oder zerstörten Bauträgern, Eisenbahnen, Gerüsten und Brücken.

 

Die Kraft des Bildes liegt in der heftigen Spannung zwischen dem durch die schwarze Farbe festdefinierten Raum und dem hellen, offenen Raum sowie in den spontanen Gesten von Klines kraftvollen, aber einfachen Pinselführungen.«

 

Michelangelo Buonarroti - Die Heilige Familie
Michelangelo Buonarroti
Die Heilige Familie, 1504
Tempera auf Holz
Florenz, Uffizien
Sol LeWitt - Geometrische Figur
Sol LeWitt
Geometrische Figur, 1981
Wandmalerei mit chinesischer Ausziehtusche

Auf ärztliche Anweisung lese ich heute nur mehr ganz selten Kritiken über moderne Kunst, im Höchstfall einmal in der Woche, und schon gar nicht auf leeren Magen. Wie schon erwähnt, habe ich jedoch großen Respekt vor jeder professionellen Leistung, sogar wenn es sich um moderne Kunstkritik handelt. Manchmal bilde ich mir ein, ich könnte das Handwerk auch erlernen und erfolgreich anwenden.

 

Zur Übung greife ich zu einem Motiv, das auf zwei verschiedenen künstlerischen Wegen gelöst wurde.

 

Beim ersten Bild handelt es sich um Michelangelos »Heilige Familie«. Es war sein erstes Gemälde dieses Genres, und ich spüre deutlich, daß der junge Künstler in seiner Unerfahrenheit den leichten, dornenfreien Weg gewählt hat.  Der Unterschied im künstlerischen Niveau wird mir klar, wenn ich Michelangelos dilettantisches Bild mit einem Werk von Sol LeWitt vergleiche, das graphische Reife und konzeptuale Tiefe aufweist. Es handelt sich hier um ein metaphysisches Happening in höchster Vollendung, das nebenbei auch dreimal so groß ist wie Michelangelos vager Erstling. Ja, die moderne Kunst hat die Malerei von ihren Fesseln befreit.

 

Salvador Dalí - Mann, ans Kreuz genagelt
Salvador Dalí
Mann, ans Kreuz genagelt
New York
Metropolitan Museum of Art
Paul Klee - Le rouge et le noir
Paul Klee
Le rouge et le noir, 1938
Öl und Aquarell auf gipsgrundierter Jute
Wuppertal von der Heydt Museum

Werfen wir doch einen Blick auf die interessante Komposition von Salvador Dalis Kirchenbild, worin der Künstler die beiden Hauptgestalten in einer strengen Schiefachse hält.

 

Auf derselben polarisierenden Schiefachse nach dem Dalli-Dalli-Prinzip ist auch Paul Klees Meisterwerk aufgebaut. Es unterstützt lebhaft das Vorstellungsvermögen des Betrachters durch seinen transzendentalen dynamisierenden Reichtum.

 

Einem der bekanntesten deutschen Kunstkritiker hat dies folgende Worte entlockt: »Klee ist der einzige deutsche Maler, der auf Goethe sich zu berufen das Recht hat.«

 

 

Als nächstes Übungsbeispiel nehme ich Raffaels »Heiligen Georg«.

Bei aller Hochschätzung des ehrlichen Kunsthandwerks ist es meiner progressiven Auffassung nach doch nichts anderes als das fade Spiegelbild der grauen Alltagsrealität.

 

Raffael - Der Heilige Georg und der Drache
Raffael
Der Heilige Georg und der Drache
Um 1505
Öl auf Holz
Paris Musée du Louvre

Unvergleichlich mehr Interpretationsspielraum bietet meinem wachen Kritikerauge Rut Himmelsbachs Bravourstück, das auf der Basler Kunstmesse ausgestellt wurde.

Rut Himmelsbach - Laufender Hund
Rut Himmelsbach
Laufender Hund, 1984

Obwohl die identische Bildkonzeption keinem Zweifel unterliegt (ich bitte um die besondere Beachtung der beiden linksbündig platzierten Höllenhunde), scheint es, daß Fräulein Himmelsbach mit ihrem synoptischen Konglomerat uns, den Kritikern, die weitaus bessere Voraussetzung, für eine ungebändigte Worthypertrophie verschafft als Raphaels monotone Nahaufnahme.

 

(...) Picasso war kein Clown. Er war ein sarkastischer Kommentator seines verwirrten Zeitalters, ein großer Archivar der menschlichen Dummheit.

 

(...) Die Zirkusbilder aus seiner blauen Periode sind tatsächlich von höchster Virtuosität. Picasso war kein Scharlatan. Wenn er gewollt hätte, hätte er wie Giotto und Tizian malen können. Doch er wollte nicht. Das heißt er wollte nur so lange, bis er das große Prinzip verstanden hatte, dass die Menschen keine eigene Meinung haben, dass sie das handwerkliche Können nicht mehr schätzen, dass sie vor Anomalien und an den Haaren herbeigezogenen Gimmicks auf die Knie fallen und sich einbilden, sie seien dadurch selber etwas Besonderes geworden.

 

Picasso aber war ein wahrhaft weiser Mann: »Warum den guten Leuten nicht eine Frau mit zwei Nasen oder zwei Frauen mit einer Nase liefern, wenn sie das gerne möchten.« Seine eigenen Familienangehörigen hat Picasso jedoch nur mit einer Nase und ausschließlich realistisch porträtiert. Zuhause wollte er keinen Zirkus.

 

(...) Auch Marcel Duchamp, der Prophet des Neodadaismus, der seine Kunstwerke unter anderem aus der Kaufhausabteilung für Küchenbedarf bezog, verlor eines schönen Tages die Geduld: »Ich schleudere den Schöngeistern meine Flaschenständer und meinen Nachttopf ins Gesicht, um sie zu ärgern und zu provozieren, und sie - sie bewundern meine Kreationen wegen ihrer ästhetischen Schönheit.« (...)

 

Joseph Beuys

Mit letzter Kraft erreiche ich Joseph Beuys´ Plastisches Prinzip... Jawohl, das ist das unsterbliche Werk des größten Künstlers unseres Jahrhunderts, wie das amerikanische »Time Magazin« verlauten ließ. Die euklidische Botschaft seines kunstobjektivischen Kunstdenkens ist kristallklar. Aber für die wenigen Begriffsstutzigen, die die epochale Bedeutung von J.B. noch nicht in vollem Umfang erfasst haben sollten, bin ich gerne bereit, das Rednerpult dem Künstler selbst zu überlassen. J.B. pflegte sein künstlerisches Credo mit den einfachen Worten eines einfachen Menschen auszudrücken.

 

Ich bitte den Leser von Zeit zu Zeit auf das abgebildete Meisterwerk von Beuys zu schielen, da sonst J.B.s kristallklare Thesen nicht vollständig verständlich werden. »Das plastische Prinzip ist eine Kräftekonstellation, die sich aus mehreren Begriffen zusammensetzt, aber hauptsächlich aus den dreien von unbestimmten, chaotischen, ungerichteten Energien und einem kristallinen Formprinzip aus sehr polaren Beziehungen und einem vermittelnden Bewegungsprinzip. Und wenn man es überträgt auf den Menschen, ist das psychologisch gar nicht anders als dieser rein emotionelle Wille, der emotionalen ungerichteten Aktionismus betreibt, ein gefühlsmäßig emotionales Bewegungsprinzip und ein rein formell auskristallisiertes abstraktes Theoretikertum.« Das auskristallisierte Theoretikertum ist natürlich der blühendste Unsinn, den das menschliche Gehirn erzeugen kann, es klingt wie eine Eigenparodie und spiegelt Beuys' Geringschätzung seiner Anhänger. Anscheinend bin ich aber der einzige Kunsthistoriker, der ihn nicht versteht.