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Meine Lieblingssatiren von Ephraim Kishon Kishon auf Reisen

 

 

 

Die roten Lichter von Amsterdam

Wie so viele unserer Landsleute hegen wir aufrichtige Zuneigung zu den Holländern, die sich ihre Anständigkeit und Menschlichkeit größtenteils bewahrt hatten. Außerdem hatten wir immer wieder die Kunstschätze Hollands rühmen hören und die baulichen Schönheiten der holländischen Städte. Amsterdam, so sagte man uns, stünde um nichts hinter Venedig zurück: imposante Kanäle ... Gärten und Statuen ... prächtige Theater und Konzertsäle ... zauberhafte Giebelhäuser ... ganz zu schweigen von ... also von diesem gewissen Viertel, wo man an den Fenstern ... angeblich gibt es so ein Viertel in Amsterdam ... mit Mädchen an den Fenstern ... ein berühmtes Viertel ... und dort sitzen sie also an den Fenstern, die Mädchen.

Selbstverständlich hatten wir diesem albernen Touristengewäsch weder Ohr noch Glauben geschenkt. Auch ich selbst hatte kaum hingehört. Solche Dinge interessieren mich nicht. Ich bin ein ernster, reifer, vom Leben hart geprüfter Mann, der seine Erfahrungen bereits hinter sich hat. Ich mache in einer Stadt, die für ihre Museen berühmt ist, nicht etwa deshalb Station, um dann vielleicht ... ich denke nicht daran. »Also du denkst nicht daran«, nickte die beste Ehefrau von allen. »Ganz wie du willst. Was mich betrifft, so möchte ich keinesfalls darauf verzichten, die Mädchen in den Fenstern sitzen zu sehen.«
Ich fragte, wo ihre frauliche Würde bliebe, bekam aber eine ausweichende Antwort.

»Es gibt sogar einen Film mit Marian Vlady, der in diesem Amsterdamer Viertel spielt. Das muss man sich anschauen.« Ich bin lange genug verheiratet, um zu wissen, wann jeder Widerspruch sinnlos wird. Und da auch ich im Grund meines Herzens eine gewisse Neugierde nicht ganz unterdrücken konnte, gab ich nach. Als wir das Taxi bestiegen, war die Sache entschieden. Wir würden hingehen. Hin? Wohin? Und wie? Das bewusste Viertel war In keinem Stadtplan eingezeichnet und der Weg in keinem Touristenführer beschrieben. »Dann musst du jemanden fragen«, sagte die beste Ehefrau von allen. »Frag doch du!«

»Ich? Wenn mich nicht alles täuscht, bin ich die Dame von uns beiden.«
Eine ungemein anregende Diskussion war die Folge. Ich erklärte meiner Gattin, dass gerade deshalb, weil sie eine Dame und als solche über jeden Verdacht erhaben wäre, das Einholen derartiger Auskünfte ihr zufiele, nicht mir. Oder sollte ich mich vielleicht auf die Straße stellen, den erstbesten Passanten aufhalten und - ich arbeitete das Lächerliche der Situation krass heraus - ihn ganz einfach fragen, wo man in Amsterdam die... also die Fenstersitzerinnen fände. kann man mir doch nicht zumuten. Ich sei ein Feigling und sollte mich schämen, resümierte meine Gattin und beugte sich zum Fahrer vor. »Sagen Sie einmal ... was ist denn Amsterdam besonders sehenswert? Ich meine: besonders? « »Im Königlichen Museum wurde eine moderne Kunstausstellung eröffnet«, antwortete der gut unterrichtete Chauffeur. »Und das internationale Musikfestival soll ganz hervorragend besetzt sein.« »Ja gewiss. Aber das meine ich eigentlich nicht. Mein Mann und ich würden gern was wirklich Aufregendes sehen.« »Ich verstehe. Dann gehen Sie Mitternacht in den Hafen, wenn die Gemüsekähne ausgeladen werden. So etwas sieht man nicht oft . . . « »Danke für die Auskunft. Vielen Dank. « Ich saß im Fond, das Gesicht von Schamröte übergossen. Andererseits begann sich männlicher Stolz zu melden. Ich bin ja kein kleines Kind mehr, das sittsam an der Hand seiner Gouvernante dahinzutrippeln hat Wenn ich wissen will, wo man die... wo man diese Fenster findet, dann gehe ich eben zum Hotelportier, beuge mich lässig zu ihm vor und frage ohne alle Umschweife:
»Hören Sie, lieber Freund, wo sind hier ... Sie wissen schon ... das mit den Fenstern...« Ein freundliches, verständnisvolles Lächeln erhellte das Gesicht des Portiers. »Die Königin weilt um diese Zeit in ihrer Sommerresidenz. Aber den königlichen Palast können Sie jederzeit besuchen. Sie finden ihn mühelos. Jeder Mensch zeigt Ihnen den Weg.«
»Danke sehr.«

Es war wirklich zu dumm. Der Gedanke, dass vielleicht ein paar Straßenzüge weiter, ja vielleicht schon hinter der nächsten Ecke die Gegend anfing, wo Scharen lässig hingelehnter Frauen aus allen Fenstern hervorlugten, ohne dass wir sie zu finden wussten- dieser Gedanke konnte einen empfindsamen Menschen sehr wohl an den Rand des Wahnsinns treiben. Ein Glück, dass unser Abend bereits durch eine Einladung des holländischen Pen- Clubs belegt war. »Wir fliegen morgen um acht Uhr ab«, zischte die beste Ehefrau von allen. »Wir brauchen die Adresse noch heute nacht!« Heute nacht. Dann blieb nur der Pen- Club als Auskunftsstelle übrig. Aber wie sollte ich das Gespräch in die geeigneten Bahnen lenken?

Als das Einleitungsgeplauder zu verebben begann, stürzte ich ein Glas des schärfsten indonesischen Reisschnapses hinunter und wandte mich an einen Vertreter des einheimischen Geisteslebens. »Spinoza, zu dem Sie ja sicherlich eine besondere, lokalbedingte Beziehung haben -Spinoza hat die These aufgestellt, dass die Philosophie eigentlich nur als Katharsis eines hypokritischen Humanismus aufzufassen sei. Das heißt, der Philosoph entlarvt die konventionellen Lügen der Gesellschaft, in deren Schatten und unter deren Schutz die menschliche Hypokrisie ihre Paläste baut, die in Wahrheit nichts weiter sind als - verzeihen Sie den Ausdruck - Bordelle!« »Ja, ja«, bestätigte mein Gesprächspartner, einer der führenden Erkenntnistheoretiker des Landes. »Spinozas scharfer, analytischer Verstand ist bis heute unübertroffen.« Der Mann war ein Kretin. Hätte er nur ein wenig Intelligenz und Instinkt besessen, so müsste seine Antwort ungefähr folgendermaßen gelautet haben: Apropos Bordelle -gleich hier, mitten in Amsterdam, gibt es ein ganzes Viertel, wo Frauen in jeder Preislage in den Fenstern sitzen. Wollen Sie sich das nicht ansehen? Das wäre die passende Antwort gewesen. Statt dessen erzählt mir dieser Kretin etwas von den philosophischen Analysen eines getauften Juden ... Ich kippte einen noch schärferen Brandy, schloss die Augen und versuchte es aufs neue.

»Spinoza hin, Spinoza her - was mich an Ihrem Land fasziniert, ist seine gesunde, freimütige, von keinen Hemmungen beeinträchtigte Lebensart. Wenn ich richtig informiert bin, gibt es hier, mitten in Amsterdam, ein ganzes Viertel, von dem jedermann weiß, dass es der öffentlichen Prostitution vorbehalten ist?«
Meine Gattin hatte sich herangepirscht und nickte mir aufmunternd zu.
»Ach«, lächelte der Erkenntnistheoretiker. »Sie meinen offenbar ... hehehe ... Sie meinen das Viertel, wo die Damen in den Fenstern sitzen!«
»Wie bitte? In den Fenstern?«
»Ganz richtig. Ein solches Viertel gibt es bei uns.«
»Tatsächlich? Und wo?! «
»Hier, in Amsterdam. Die Touristen strömen scharenweise hin.«
In den Augen meiner Gattin flammten zornige Pünktchen, die soviel bedeuteten wie; Siehst du! Alles strömt, nur wir sitzen noch hier ...
»Um die Wahrheit zu sagen«, fuhr der Auskunftgeber fort, »tolerieren wir dieses Viertel überhaupt nur der Touristen wegen. An sich ist es eine Kulturschande. Tag und Nacht stehen die Fremden mit ihren Fotoapparaten vor den Fenstern und knipsen drauflos, als ob sie im Zoo wären. Einfach abscheulich!
»Abscheulich«, wiederholte ich. »Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Die gierigen Gesichter und das Klicken der Kameras ... die ganze Straße ist voll davon ... die ganze... wie hieß die Straße doch gleich?« »Straße? Das spielt sich nicht auf der Straße ab. Wenn die Herren Touristen genug geknipst haben, verschwinden sie in den Häusern und feilschen mit den armen Mädchen stundenlang um die Preise. Es ist wirklich degoutant!
»Degoutant ist gar kein Ausdruck.« Ich biss die Zähne zusammen, um meine Erbitterung nicht zu verraten. Die Depression, in der ich mich jetzt befand, rechtfertigte unseren baldigen Aufbruch.

Unsere Strategie stand fest. Wir würden die Stadt durchkämmen, würden aus dem östlichen Zipfel nach Norden vorstoßen, dann die Querstraßen in westlicher Richtung durchstreifen und uns schließlich so lange südwärts halten, bis wir irgendwo auf ein rotes Licht stießen. Früher oder später mussten wir eines finden.
Wir wussten nicht, und wir fanden keines. Gegen zwei Uhr nachts hielten wir erschöpft Rast, ohne eine einzige lebende Prostituierte gesehen zu haben. Da und dort hatte zwar ein rotes Licht aufgeblinkt, aber das war dann immer eine Verkehrsampel. Ein Nachtapotheker, den ich aus tiefem Schlaf geweckt hatte, um ihn in ein Gespräch über den »ältesten Beruf der Welt« zu verwickeln, gab mir höflich zu verstehen dass das Ackerbauministerium nachts geschlossen sei. Niedergeschlagen und hoffnungslos setzten wir unsern Weg fort. Um 3.30 Uhr hatten wir erst ein Fünftel der Stadtfläche bewältigt. Die Straßen standen leer. Amsterdam schlief. Es war nach vier, als ich vor dem Konzertgebäude einen Polizisten stehen sah. Jetzt war mir alles egal. Mit letzter Kraft stolperte ich auf ihn zu, hielt mich an seinem Uniformkragen fest und keuchte: »Wo sind die Huren?«
»Die zweite Brücke hinter dem Dom«, antwortete der Hüter des Gesetzes bereitwillig. »Kanalstraat.
Dieses, geneigter Leser, ist also die Adresse. Manchmal lohnt es sich, auch eine überlanges Geschichte zu Ende zu lesen.

 

 

Ihre Zimmernummer, Sir

Natürlich können wir mit Venedig nicht ernsthaft konkurrie­ren, schon deshalb nicht, weil man sich in unseren Städten verhältnismäßig bequem zu Fuß fortbewegt. In dieser Hinsicht sind wir also uninteressant. Was uns für den internationalen Reiseverkehr dennoch interessant macht, ist die Tatsache, dass wir eine Gegend bewohnen, die den Angehörigen mehrerer Glaubensbekenntnisse als Heiliges Land gilt: für die Juden ist es das Land ihrer Geschichte, für die Christen das Land, in dem der Nazarener gelebt hat, für die Moslems das Land, in dem die Arabische Legion steht, und für die Amerikaner das Land der Ölgewinnung.
Indessen taugt auch die schönste, attraktivste Landschaft nichts, wenn sie über keine Luxushotels verfügt. Will also ein reicher Jude dem Land seiner Väter helfen, so baut er dort ein Hotel. Nebenbei ist das eine ganz gute Investition. Ausländer auf Reisen wünschen nichts sehnlicher, als geschröpft zu werden, und von dieser Regel macht auch Israel keine Ausnahme. Aber wehe dem Israeli, der in einem solchen Luxushotel abzusteigen wagt.
Ich selbst beging diesen ruinösen Fehler nur ein einziges Mal. Irgendwie war es mir gelungen, aus den Klauen des Steuereinnehmers ein paar unvermutete Pfunde zu retten, und ich beschloss, mir dafür einmal einen richtigen, großzügigen Urlaub zu gönnen. Meine Wahl fiel auf ein Super-de-Luxe-Hotel, das über einen eigenen Strand, einen eigenen Golfplatz, eine eigene Kricket-Anlage und, wie man sehen wird, noch über sehr viel anderes Eigenes verfügte.
Ein Page in einer deprimierend vornehmen Livree öffnete mir das Taxi, ergriff meinen Koffer und fragte:
»Welche Zimmernummer, Sir?«
»Das weiß ich nicht«, sagte ich. »Ich bin ja eben erst angekommen.«
Der Page dirigierte mich zu der ganz in Marmor gehaltenen Rezeption, wo mir ein Agent des Geheimdienstes meine Zimmernummer bekanntgab: 157. Diese Nummer trug der Page sofort in sein Notizbuch ein. Der Geheimagent übergab mir einen mit Diamanten besetzten Zimmerschlüssel aus 24 karätigem Gold. Ich betrat das Zimmer, das die Nummer 157 trug, und begann mit dem Auspacken. Als ich mir die Hände waschen wollte, musste ich feststellen, dass keine Seife vorhanden war. Ich läutete nach einer Sklavin. Sie brachte mir eine in Zellophan verpackte, aus Hollywood importierte Seife und fragte: »Welche Zimmernummer, bitte?« »157«, antwortete ich. Die Sklavin zog ein Notizbuch und schrieb sorgfältig auf ein neues Blatt: »157.« Mit nunmehr gewaschenen Händen begab ich mich in den Speisesaal des Hotels, wo man - ohne mich mit lästigen Fragen zu behelligen - eine Tasse Tee und zwei Scheiben Toast vor mich hinstellte.
Da mir die Toasts vorzüglich mundeten verlangte ich noch eine Scheibe. »Zimmernummer?« fragte der Kellner mit der Steifheit eines knapp vor der Pensionierung stehenden Diplomaten. Das »157«wurde gebührlich notiert. Auf dem Rückweg in mein Zimmer wollte ich von einem der Brigadegeneräle, die als Portiers Dienst taten, die genaue Uhrzeit erkunden. »Meine Zimmernummer ist 157«, sagte ich. »Wie spät ist es?« » 5.32«, antwortete der Brigadier und trug die Nummer 157 in ein dickes Buch ein.
Ich kleidete mich fürs Abendessen um, bat um eine Kleiderbürste (157) und später um eine DDT-Spritze gegen die Moskitos (157).
Da mich die ständige Nummernbuchhaltung allmählich zu enervieren begann, machte ich mich zum Boudoir Hotelmanagers auf und wurde um eine Audienz vorstellig. »Warum, 0 Herr, muss ich bei jedem Anlass meine Zimmernummer angeben?« fragte ich.
Seine Lordschaft maß mich mit einem missbilligenden Blick und antwortete in kühlem Oxford-Englisch ¹:
»Alle Dienstleistungen, die nicht im Pauschalpreis inbegriffen sind, werden in Rechnung gestellt, Sir. Deshalb müssen die Mitglieder unseres Stabs über die Zimmernummer informiert sein, Sir. Was ist Ihre Zimmernummer, Sir?«
»157.« »Danke, Sir«, sagte seine Lordschaft und notierte: »Inf. für Nr.157.«
157 wurde zum Leitmotiv meiner Tage. Kaum wagte ich noch jemanden anzureden, ohne sofort meine Zimmernummer zu nennen. Als ich einmal einen Grapefruitsaft bestellte und keinen bekam, gab ich dem Kellner zu bedenken, ob er jetzt nicht in seinem Notizbuch eine Eintragung vornehmen sollte:
»Keine Grpfrt. für 157.« Auch in diese Vorstellungszeremo­nien schlichen sich seltsame Allüren ein. Es war wie im Gefängnishof. Wenn ich auf jemanden zutrat, nannte ich nicht meinen Namen, sondern sagte:
»157. Sehr angenehm.«
»Ganz meinerseits«, antwortete Prinz Weingartner, der Sekretär des Hotels, und schrieb sofort in sein Notizbuch: »Vorgestellt Nr.157.«
Aber mit einemmal schlug die ganze Situation um. Ich saß gerade auf der Amethystterrasse des Hotels und sog in tiefen Zügen die ozonreiche Abendluft ein, als einer der Aufseher an mich herantrat, das gezückte Notizbuch in der Hand.
»157«, sagte ich höflich. »Frische Luft.«
»57«, notierte der Aufseher. »Danke, Sir.« Ich war drauf und dran, den Irrtum zu berichtigen, fühlte mich jedoch von einer geheimnisvollen Kraft zurückgehalten. Bizarre Überlegungen kreisten in meinem Kopf und konzentrierten sich auf eine völlig neue Möglichkeit... Abends im Restaurant bestellte ich eine extra große, extra grillierte Portion Kalbsleber.
»Zimmernummer?« fragte der Kellner, ein ehemaliger Oberst der königlichen Leibgarde.»75«, antwortete ich.»75«, notierte der Oberst. »Danke, Sir.«
So begann es und so konnte ich mir im Verlauf der nächsten Tage manchen Wunsch erfüllen, von dem ich bisher nur im Opiumrausch geträumt hatte. Zweimal fuhr ich in einer eigens für mich bestellten Luxusjacht aus (75), dreimal bestellte ich mir ein indisches Bauchtänzerinnenduo (75) und einmal eine Liliputanertruppe (75). Das Beste war mir gerade gut genug. Wenn man schon einmal auf Urlaub ist, soll man nicht kleinlich sein. Wenn man kleinlich sein will, bleibt man besser zu Hause oder kauft sich eine Orangenplantage.
Nach zwei wunderbaren Wochen verließ ich das Hotel. Prinz Weingartner händigte mir die von Seiner Lordschaft, dem Manager, gegengezeichnete Rechnung aus. Sie belief sich auf 390 Pfund. In dieser Summe waren auch die nicht pauschalierten Dienstleistungen enthalten, wie Seife (5,-), Information (3,10), Luftschöpfen am Abend (4,90) und ein paar andere Kleinigkeiten.
Mit männlichem Händedruck verabschiedete ich mich vom Personal. Dem Brigadier gab ich 100 Pfund, seinem Adjutanten 50 Pfund ²
Während ich ins Taxi stieg, spielte sich an der Rezeption ein peinlicher Auftritt ab. Ein dicker glatzköpfiger Herr erlitt dort gerade einen Wutanfall, riss allerlei Rechnungsformulare in kleine Fetzen und erging sich dabei in unzusammenhängenden Ausrufen- dass er nicht daran dächte, 2600 Pfund für 29 Portionen grillierter Kalbsleber zu bezahlen, die er weder bestellt noch verzehrt hätte, und dergleichen wirres Zeug. Es war wirklich beschämend. Kann man denn solche Lappalien nicht anders regeln als durch unbeherrschtes Brüllen?


¹Das Personal der israelischen Luxushotels spricht ausschließlich Oxford-Englisch, so dass die amerikanischen Juden einen Dolmetsch engagieren müssen. Aber im äußersten Notfall können sich beide Gesprächspartner immer noch mit jiddisch behelfen.
²Trinkgelder sind in Israel nicht üblich, weil sie - nach Ansicht der Gäste - dem von den Vereinten Nationen klar definierten Begriff der Menschenwürde widersprechen. Die Ansicht der Kellner ist weniger dogmatisch.
 

 

 

Die nachfolgende Geschichte widme ich einem Bewohner der titelreichen Stadt Wien, Herrn Kammerschriftsteller Hofrat Prof. Dr. Friedrich Torberg, meinem Freund und Übersetzer.

Wiener Titelwalzer

Kaum war unser Flugzeug auf dem Wiener Flughafen zum Stillstand gekommen, als über den Lautsprecher die folgenden Worte hörbar wurden: »Professor Kishon wird höflich gebeten, sich beim Informationsschalter meiden zu wollen. Vielen Dank im voraus.« Während der Zollformalitäten erklang die einladende Stimme zum zweiten Mal: »Herr Doktor Kishon wird beim Ausgang erwartet. Wir bitten Herrn Professor Doktor Kishon zum Ausgang. Danke schön.« Ich habe für öffentliche Scherze solcher Art keine Verwendung und gab das den Herren am Empfangskomitee, die mich am Ausgang erwarteten, sofort zu verstehen: »Fein, dass ihr da seid, Jungens!« sagte ich ungezwungen. »Übrigens bin ich weder Professor noch Doktor.«

»Gewiss, gewiss.« Der Führer der Delegation, ein vornehmer Gentleman- Typ mit grauen Schläfen, nickte verständnisvoll. »Darf ich Sie jetzt mit meinen Assistenten bekannt machen, lieber Professor . . . « Damit begann er, meine tapfere kleine Frau und mich die Empfangsreihe entlangzuführen, die sich mittlerweile mit lässiger Eleganz formiert hatte:
»Doktor Kishon, das ist Hofrat Professor Manfred Wasserlauf . . . Gestatten Sie, Professor Kishon, dass ich Ihnen Herrn Kommerzialrat Professor Doktor Steinach-Irdning vorstelle. . . und hier, Professor Kishon, ist unser Stadtverkehrsexperte, Parkrat Doktor Willy. . .« Dr. Willy war, wie sich alsbald herausstellte, der Fahrer unseres Wagens, präsentierte sich aber wie alle anderen in dunklem Anzug mit silbergrauer Krawatte. Er grüßte uns mit einer untadeligen Verbeugung, ehe er sich über die Hand meiner errötenden Ehefrau neigte und seinem wohltönenden »Küss die Hand, Gnädigste« die dazugehörige Aktion folgen ließ.

»Die sind meschugge«, raunte ich meiner Gefährtin zu. »Das kann doch unmöglich ernst gemeint sein.« »Sie irren«, äußerte Kommerzialrat Prof. Dr. Steinach- Irdning in fließendem Hebräisch. »So macht man das hier in Wien. Daran werden Sie sich während Ihres Aufenthaltes gewöhnen müssen.« Während der Fahrt ins Hotel brachte er noch ein wenig gedämpftes Licht in die Sachlage. »Eigentlich heiße ich Stein«, sagte er. »Mosche Stein. Ich bin vor drei Jahren in einer geschäftlichen Angelegenheit aus Israel hergekommen.
Auch ich habe anfänglich immer widersprochen, wenn man mich Profe­ssor nannte. Aber nach einiger Zeit gab ich nach. Es war sinnlos. Später fügte ich meinem Namen der Einfachheit halber ein >ach-Irdning< an, und zum Geburtstag bekam ich von meinem Schwager, der im Rathaus arbeitet, den Doktortitel.« »Aber Sie sind doch auch Kommerzialrat, nicht?« »Natürlich. Ich habe im Stadtzentrum ein kleines Textilgeschäft aufgemacht.« Wie der einstige Mosche Stein uns weiter belehrte, bestand seit dem Tag, in dem Österreichs barocke Feudalmonarchie sich in eine gemäßigte demokratische Republik verwandelt hatte, unter den Einwohnern des Landes eine unstillbare Sehnsucht nach den klingenden Titeln der verklungenen Zeit.

»Hierzulande gibt es zum Beispiel keine Briefträger, sondern Postoberoffiziale«, erklärte uns der Kommerzialrat Professor Doktor. »Keine Kellner, sondern Ober. Keine Beamten, sondern Kanzleiräte. Und jeder führt außer seinem Amtstitel noch mindestens einen Doktor oder einen Professor. «»Und wo sind diese Titel erhältlich?« »Es gibt mehrere Quellen. Ganz am Anfang wurde der Professortitel vom Staatspräsidenten verliehen, auf Grund der Empfehlung einer öffentlichen Körperschaft oder einer der beiden Koalitionsparteien. Später begannen die Bürgermeister der größeren Städte auf eigene Rechnung Doktorate zu verteilen. Und heute gibt es auf der Kärntnerstraße bereits eine Buchhandlung, wo man ohne große Mühe den Titel eines Privatkonsulenten für Literatur erwerben kann.« »Aber diese Titel werden doch vollkommen wertlos, wenn jeder sie trägt! Ist Ihnen das noch nicht aufgefallen, lieber Herr?« »Damit mögen Sie nicht ganz unrecht haben. Trotzdem darf ich Sie bitten, mich mit Professor anzureden.«

Im Hotel angelangt, füllte ich den Meldezettel aus. Der Amtierende Verwaltungsrat für Hotelangelegenheiten, in manchen rückständigen Ländern »Portier« genannt, nahm mir das Formular aus der Hand, streifte mich mit einem tadelnden Blick und schrieb »Professor« vor meinen Namen. Nachdem er die ebenso vorsorglich wie nonchalant hingehaltene Hand meiner Gemahlin geküsst hatte, wies er uns zum Lift. »Pardon, Exzellenz in welches Stockwerk?« fragte der Liftboy. »Dritter Stock, Professor.«

Wir glaubten bereits annähernd im Bilde zu sein, aber gleich darauf unterlief mir ein schwerer Schnitzer. Als wir wieder in die Halle zurückkamen, traten wir auf eines der wartenden Mitglieder des Empfangskomitees zu:
»Gestatten Sie, Professor«, sagte ich, auf meine Gattin deutend, »dass ich Sie mit meinem persönlichen Sekretariatsvorstand bekannt mache. «Zu meiner Überraschung ließ es der Angesprochene bei einem sehr flüchtigen Handkuss bewenden und wandte sich sichtlich verärgert ab. Empfangsrat Stein, der die kleine Szene bemerkt hatte, eilte herbei:
»Haben Sie den Herrn vielleicht mit Professor angesprochen ?« fragte er aufgeregt. »Ja.« »Um Himmels willen! Damit haben Sie ihn tödlich beleidigt.« »Aber wieso?« »Weil er wirklich ein Professor ist . . . « Offenbar hatten wir uns zu rasch an den österreichischen Lebensstil gewöhnt und gar nicht mehr bedacht, dass es irgendwo noch Menschen geben könnte, die an Universitäten lehrten und wirkliche Professoren waren. »Wie hätte ich ihn denn anreden Sollen ?« erkundigte ich mich zaghaft. »Mindestens mit Hofrat Universitätsprofessor Privatdozent Doktordoktor. Das ist das absolute Minimum.« Ich begab mich sofort zu dem von mir so schwer Getroffenen zurück und verbeugte mich:
»Hochverehrter Herr Hofrat Universitätsprofessor Privatdozent Dok­tordoktor wie geht es Ihnen ?« »In Ordnung«, nickte der Angesprochene, und seine Stimme lockerte sich wohlwollend. »Danke, Professor. Sie sind offenbar erst vor kurzem hier angekommen, wie?«

»Allerdings, Herr Hofrat Universitätsprofessor Privatdozent Doktordoktor . . . « Jetzt hatte ich den richtigen Ton heraus. Es war ein wenig ermüdend, aber nicht ohne Reiz, und ich begann zu verstehen, warum die Österreicher heute um so viel glücklicher sind als vor dem Krieg. Nach zwei Tagen ertappte ich mich bei deutlichen Gefühlen der Abneigung gegen Leute, die mir meinen Doktor- oder Professortitel verweigerten. Jedem das Seine, wenn ich bitten darf. Auch meine Ehefrau, die beste von allen, machte sich's zur Gewohnheit, wann immer das Gespräch auf mich kam, 5 ein unauffälliges »mein Mann, der Oberliteraturrat« einzuflechten. Ich nannte sie dafür »Doktorin der Musikologie« (sie spielt ein wenig Klavier).
Titel haben etwas für sich, es lässt sich nicht leugnen. Man sitzt beispiels­weise in der Hotelhalle, sieht einen sehr jungen Professor in Liftboykleidung mit einer Namenstafel herankommen und hört ihn rufen: »Professor Doktor Ephraim Kishon zum Telefon, bitte!« Dagegen ist nichts einzuwenden.

Man lässt ihn mehrmals die ganze Hotelhalle durcheilen und freut sich des Rufs. Wenn man gerade Lust hat, kann man sich auch selbst anrufen, damit man ausgerufen wird. Kein Wunder, dass uns beinahe das Herz brach, als wir die gastliche Hauptstadt der Republik Österreich verlassen mussten. »Professor«, sagte meine Frau, während wir in die El-Al-Maschine kletterten, »hier war es wirklich schön.«
»Wunderschön, Frau Doktor«, sagte ich und küsste ihr die Hand. »Küss die Hand.«

Über dem Mittelmeer verfiel ich in einen tiefen, levantinischen Schlummer. Im Traum erschien mir die erlauchte Gestalt des Kaisers Franz Joseph I. in strahlender, ordengeschmückter Uniform. »Majestät«, stotterte ich erschauernd. » Kaiserlich-Königlich Apostolische Majestät . . . Allergnädigster Herr . . . «
»Lass den Unsinn«, unterbrach mich der Gesalbte. »Sag Franzl zu mir.«