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Meine Lieblingssatiren von Ephraim Kishon Übersinnliches

 

 

 

Menasche weiß es ganz genau

An einem trüben, regnerischen Abend saßen Jossele und ich auf unserem Beobachtungsposten im Café, als besagter Tolaat Shani uns schon wieder auf die Nerven ging. Er bahnte sich den Weg zu unserem Tisch und begann seine Nägel zu beißen. »Ich bin fürchterlich nervös«, sagte er. »Das erweiterte Dramaturgenkomitee des Nationaltheaters berät gerade über das Schicksal meines Stücks.« Wir versicherten ihn unserer aufrichtigen Anteilnahme. Die Situation war ja auch wirklich spannend. Wurde sein Stück abgelehnt, dann hatte er's hinter sich. Wurde es aber angenommen, dann ließ sich die Möglichkeit, dass es infolge eines technischen Versehens auch zur Aufführung käme, nicht gänzlich ausschließen. Wir versuchten den hartgeprüften Autor zu beruhigen, aber er hörte uns kaum zu, brach von Zeit zu Zeit in ein hysterisches Kichern aus und drohte zu emigrieren. Plötzlich geschah etwas Merkwürdiges. Ein großer, hagerer Mensch kam am Tisch vorbei, grüßte Jossele mit einem freundlichen Winken seiner Hand, hielt direkt vor Tolaat Shani inne, legte den Kopf schräg und schien in die Luft zu schnuppern, wobei seine Nasenflügel sich blähten und sein Gesicht den Ausdruck konzentriertester Nachdenklichkeit annahm. Das Ganze dauerte höchstens eine Sekunde. Dann entspannte sich der Mann, stach mit spitzem Finger nach Tolaat Shani und ließ ein »Hallo« hören.

Gleichdarauf verschluckte ihn die dichte Bauchwolke, die im Kaffeehaus lag. »Schade, Tolaat Shani«, sagte Jossele mit belegter Stimme. »Das Dramaturgenkomitee hat Ihr Stück abgelehnt. Ich fürchte einstimmig! «

Der Angesprochene begann zu zittern und hielt sich mit beiden Händen am Tischrand fest.

»Aber wieso ... woher wissen Sie das?« »Vom Erfolgsmesser.« Jossele nickte in die Richtung, in die sich der Hagere entfernt hatte. »Menasche weiß es ganz genau.« Wie aus Josseles Erklärungen hervorging besaß Menasche eine schlechthin geniale Fähigkeit, die Erfolgsaussichten seiner Mitmenschen richtig einzuschätzen. »Menasche gibt sich immer nur mit erfolgreichen Autoren ab. Man könnte auch sagen: Ein Autor, mit dem sich Menasche abgibt, hat Erfolg. Und sowie der Erfolg ihn verlässt, verlässt ihn auch Menasche. Menasches ist die perfekte Ein- Mann -Marktforschung. Aus der Art, wie er jemanden grüßt, kann man bis auf drei Dezimalstellen berechnen viel der Betreffende im Augenblick wert ist.« Jetzt fielen auch mir ein paar Bestätigungen dafür ein. Natürlich! Vor ein paar Jahren hatte Menasche niemals versäumt, mir wohlwollend auf die Schulter zu klopfen, wenn er mich sah. Einmal geschah das, kurz nachdem man mich eingeladen hatte, mein neues Stück am Broadway zu inszenieren- nein, es war einen Tag bevor die Einladung eintraf! Damals hatte Menasche sich sogar zu mir gesetzt und sich nach meiner Gesundheit erkundigt. »Sein Nervensystem«, erläuterte Jossele, »arbeitet wie ein Seismograph und registriert die kleinsten sozialen Beben. Nichts entgeht ihm, kein noch so geringes Anzeichen eines Erfolgs oder Misserfolgs. Und danach richtet er sich. Ein lautes, herzliches »Schalom! « ist das sicherste Zeichen, dass der Begrüßte auf der Erfolgsleiter ganz oben steht oder demnächst ganz oben stehen wird. Bei Leuten mit unsicherem Erfolgsstatus beschränkt er sich auf ein mehr oder weniger gleichgültiges Winken. Und wenn ein Manager in Konkurs geht oder ein Schauspieler schlechte Kritiken bekommt, wird Menasches »Hallo« so leise, dass man die Lautverstärker eines Flughafens einschalten müsste, um es zu hören. Das Unglaubliche aber ist, dass der Erfolgsmesser sich nicht unbedingt auf den gerade gegebenen Zustand einstellt. Manchmal umarmt er einen Dramatiker, der in der letzten Nummer des »Theatermagazins« grauenhaft misshandelt wurde. Dann hat sein Radarge­hirn einen Kassenschlager vorausgespürt, von dem noch niemand etwas ahnt. Oder einen Literaturpreis. Menasche ist imstande, den Erfolgskoeffizienten eines Menschen auf Monate hinaus zu berechnen. Verstehst du das?«
»Nein«, gestand ich.
»Ich werde es dir an dem Beispiel erklären, dessen Zeugen wir soeben waren. Menasche wirft den ersten Blick auf Tolaat Shani, und seine Meßapparatur setzt sich sofort in Bewegung. »Ein Dichter mit schwankendem Status«, signalisiert die Empfangsantenne. »Gut für Standardbegrüßung Nr.8, mittel- herzlich: Wie geht's, mein Freund? Leichte Verlangsamung des Schrittes, denn der Kritiker Bimbaum hat vor kurzem seine Gedichte lobend erwähnt.« So weit ist alles klar. Aber beim Näherkommen erinnert sich Menasche, dass Kunstetter der Große schon seit zwei Wochen mit Tolaat Shani nicht mehr am selben Tisch sitzt. Das »mein Freund« fällt weg. Andererseits hat Tolaat Shani ein neues Stück im Nationaltheater liegen; das ist ein freundliches Lächeln wert, unter Umständen sogar ein lässiges Winken beim »Wie geht's?«. Als Menasches Berechnungen bis hierher gediehen sind, leuchtet auf seinem Radarschirm plötzlich die bevorstehende Ablehnung des Stücks durch das Dramaturgenkomitee auf. Folglich wird in der letzten Sekunde das freundliche Lächeln abgestellt, das »Wie geht's?« durch »Hallo« ersetzt und das Winken mit der Hand durch ein Stechen mit dem Zeigefinger. Dieses Stechen war es, aus dem ich auf die einstimmige und endgültige Ablehnung des Stücks geschlossen habe. Andernfalls hätte Menasche mindestens zwei Finger eingesetzt und nicht gestochen.«
In diesem Augenblick betrat der Sekretär des Theaters das Café und kam auf Tolaat Shani zu.
»Leider«, sagte er. »Ihr Stück wurde abgelehnt. Alle waren dagegen.«
Gegen Mitternacht trugen wir das, was von Tolaat Shani noch übrig war, zu einem Taxi. Plötzlich bog Menasche um die Ecke. Er blieb vor Jossele stehen, kniff ihn in die Backe und fragte mit breitem, freundlichem Grinsen: »Wo steckst du denn die ganze Zeit, mein Alter?«
Ich zählte mit: Das Grinsen dauerte 1 - 2 -3-4 volle Sekunden. Jossele begann zu zittern, riss einem gerade vorbeikommenden Zeitungsverkäufer die Morgenausgabe aus der Hand, sah unter »Gestrige Lotterieziehung« nach und stieß einen lauten Schrei aus: Er hatte 4000 Pfund gewonnen.
»Eines verstehe ich nicht ganz«, brummte er, nachdem er sich vergewissert hatte, dass er tatsächlich das Gewinnlos besaß. »Warum hat mich Menasche nicht geküsst? Bei mehr als 3000 Pfund küsst er sonst immer ... Dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Richtig! Ich habe ja noch 1600 Pfund Schulden
Wir machten uns auf den Heimweg. Sicherheitshalber wandte ich mich zu Menasche um und schmetterte ihm ein fröhliches »Gute Nacht« zu.
Menasche sah durch mich hindurch, als wäre ich Luft.
Was ist geschehen? Um Himmels willen, was ist geschehen? Morgen habe ich Premiere ...

 

 

Kontakt mit dem Jenseits

Psychologie ohne Parapsychologie ist wie Fernsehen ohne Antenne. Diese noch nicht ganz exakte Wissenschaft eröffnet dem Bewusstsein unterbewusst Fenster. Das Problem ist allerdings, dass das Bewusstsein sie meistens nicht mehr schließen kann.

Mein diesbezügliches Erlebnis nahm seinen Anfang, als ich auf dem Heimweg Kunstetter begegnete. Wir plauderten eine Weite über den erfreulichen Anstieg des Dollarkurses und den bevorstehenden Weltuntergang. Dann zuckte Kunstetter die Schultern.
»Eigentlich interessiert mich das alles nicht. Ich bin Spiritist.«
Aus meinem Gesichtsausdruck muss klar hervorgegangen sein, wofür ich ihn hielt, denn er zeigte sich beleidigt. »Ihr blödsinniges Grinsen «, sagte er, »beweist nur, dass Sie ein vollkommener Ignorant sind. Was wissen Sie denn überhaupt vom Spiritismus?« »Nicht viel«, gestand ich. »Ein paar Leute setzen sich zusammen, beginnen mit den Geistern der Verstorbenen zu reden und verraten niemandem, wie der Schwindel zustande kommt.« Kunstetters Gesicht verfärbte sich. Mit rauhem Griff packte er mich am Arm und schleppte mich ab. Ich protestierte leidenschaftlich, ich machte geltend, dass ich zum Medium völlig ungeeignet und überdies ein Skeptiker sei es half nichts.
In dem kleinen Zimmer waren fünf traurige Männer und drei schläfrige Frauen versam­melt. Erst nachdem er mich vorgestellt hatte, ließ Kunstetter meinen Arm los und sagte: »Dieser Bursche glaubt nicht an -«
Er brauchte nicht weiterzusprechen. Das empörte Murren der Anwesenden nahm ihm das ab. Einer von ihnen informierte mich, dass auch er vor fünfzehn Jahren so ein hochnäsiger Zweifler gewesen sei. Aber dann hätte Rabbi Akiba bei einer Seance auf Befragen seine Telefonnummer auswendig gewußt (die des Fragestellers, versteht sich), und seither hätte er Nacht für Nacht jeden beliebigen Geist beschworen. Dadurch wäre er innerlich so gefestigt, dass die Welt, was ihn beträfe, getrost in Trümmer gehen könnte.
Ich erkundigte mich bei den Mitgliedern des Cercles, ob sie schon einmal einen wirklichen, lebendigen Geist gesehen hätten Sie lächelten nachsichtig, etwa so, wie ein milder Vater seinem zurückgebliebenen Kind zulächelt. Kunstetter verdunkelte das Zimmer und bedeckte den Tisch mit einem Wachstuch, auf dem sämtliche Buchstaben des Aleph- Beths, sämtliche Ziffern von 0 bis 9, einige gebräuchliche hebräische Abkürzungen, die Worte »Ja« und »Nein« sowie ein Fragezeichen aufgemalt waren. Dann stellte er ein leeres Glas auf den Tisch und sprach:
»Wir werden uns jetzt um den Tisch setzen und mit unseren Fingerspitzen ganz leicht das Glas berühren. Drücken ist überflüssig, denn schon nach wenigen Minuten werden wir Kontakt mit einem Geist hergestellt haben, und das Glas wird sich von selbst bewegen. «
Minutenlang saßen wir reglos im geheimnisvollen Halbdunkel. Nur die Spitzen der glimmenden Zigaretten bewegten sich wie nervöse Glühwürmer. Dann begann mein rechter Arm einzuschlafen. Ich wechselte auf den linken.
»Nun?« fragte ich. »Nun?«
Ein vielfaches »Pst!« zischte mich nieder, und die Kontaktsuche ging weiter.
Eine Viertelstunde später, als meine Nerven das Schweigen nicht länger ertrugen, kam mir ein großartiger Einfall: Ich stieß mit der Spitze meines Zeigefingers ganz leicht gegen das Glas. Wunder über Wunder! Es bewegte sich.
»Kontakt! « verkündete Kunstetter und wandte sich an den Geist. »Sei gegrüßt in unserer Mitte, teurer Bruder. Gib uns ein Zeichen deiner Freundschaft.«
Das Glas begann zu wandern und hielt auf einer der hebräischen Abkürzungen inne. Höchste Spannung ergriff die Runde. Auch ich fühlte einen seltsamen Druck in der Magengrube.
»Danke, teurer Bruder«, flüsterte Kunstet­ter. »Und nun sage uns, wo du bist und wie du heißt.«
Wieder rutschte das Glas auf dem Wachs­tuch hin und her, um von Zeit zu Zeit auf einem bestimmten Buchstaben stehenzubleiben. Eine der Spiritistinnen setzte das Ergebnis zusammen. Es lautete:
»M-R-4-K-?-L-L-L-.«
»Komischer Name«, bemerkte ich. Kunstetter klärte mich auf.
»Offenbar handelt es sich um einen Spion. Spione haben immer chiffrierte Namen, damit man sie nicht erkennt.«
Sodann nahm er das Gespräch mit dem Geist des Spions wieder auf.
»Aus welchem Land kommst du, teurer Bruder?
Das Glas zögerte einen Augenblick, dann entschloss es sich zu einer Art Pendelverkehr zwischen zwei Buchstaben:
»B-L-B-L-B-L.«
»Der arme Kerl scheint ein Stotterer zu sein«, stellte Kunstetter fest. »Aber es ist klar, dass er aus Belgien kommt.«
»Wieso spricht er dann Hebräisch?« fragte ich.
»Teurer Bruder!« Aus Kunstetters Stimme zitterte unterdrückter Ärger. »Sprichst du Hebräisch?«
Unverzüglich sprang das Glas auf »Nein«. Es war eine sehr peinliche Situation, die Kunstetter nur dadurch zu bereinigen wusste, dass er den Geist kurzerhand entließ.
»Danke, teurer Bruder. Komm wieder, wenn du Hebräisch sprechen kannst. In der Zwischenzeit sende uns jemand anderen.« Der Geist machte sich eilends davon, und die Kontaktsuche nahm ihren grimmigen Fortgang. Kunstetter fragte, mit wem wir jetzt am liebsten sprechen würden. Ich beantragte Moses, vor allem deshalb, weil er des Hebräischen mächtig war. Mein Vorschlag wurde aus Gründen der Pietät abgelehnt.
Schließlich einigten wir uns auf Moses' Bruder Aaron, legten unsere Finger an den Rand des Glases und warteten. Um diese Zeit war ich bereits mit den wissenschaftlichen Grundlagen des Spiritismus vertraut. Blitzartig hatte mich die Erkenntnis überkommen, dass das Glas sich nur bewegte,
wenn es geschoben wurde. Warum sollte sich auch ein ganz gewöhnliches Wasserglas ohne fremde Hilfe bewegen? Ein Glas und ein Ringelspiel. Um die ganze Wahrheit zu sagen: Das Eingeständnis des Spions, dass er nicht Hebräisch spräche, war mein Werk gewesen. Und? Gibt es vielleicht ein Gesetz gegen gute Medien?
Als ich meinen rechten Arm kaum noch spürte, erschien Aaron. Er begrüßte uns regelrecht auf der entsprechenden hebräischen Abkürzung und erklärte sich zu jeder Mitarbeit bereit.
»Woher kommst du, teurer Bruder?« fragte Kunstetter mit begreiflicher Erregung (sprach er doch zu einem nahen Verwandten unseres Lehrers Moses).
Das Glas vollzog die Antwort S-I-N-A-I. Es waren erhabene Augenblicke. Wir wagten kaum zu atmen. Eine der Frauen kreischte auf, weil sie über dem Blumentopf einen grünlichen Schimmer gesehen hatte. Nur Kunstetter blieb ruhig.
»Die richtige Antwort überrascht mich nicht«, sagte er.
»So ist es immer, wenn wir einen vollkommenen Kontakt hergestellt haben. Teurer Bruder!« wandte er sich an Aarons Geist. »Sage uns, welche Juden dir am liebsten sind!«
Unter lautloser Stille kam Aarons Antwort:
»K-Ö-N-I-G D-A-V-I-D ... S-A-L-O­M-O-N D-E-R W-E-I-S-E ... B-E-N­G-U-R-I-O-N ... E-P-H-R-A-I-M K-I-S-H-O-N ... «Zornige Blicke trafen mich, als wäre es meine Schuld, dass Aaron gerne gute Satiren las. Die Finger schmerzten mich, denn Kunstetter hatte durch außerordentlich starken Gegendruck die für mich so schmeichelhafte Äußerung Aarons zu hintertreiben versucht. Jetzt war die Reihe an mir.
»Aaron, mein teurer Bruder«, fragte ich, »glaubst du an Spiritismus?«
Kein Geist sah jemals solchen Streit der Finger. Meine Handmuskeln sind nicht die schwächsten, aber Kunstetter leistete verzweifelten Widerstand. Selbst im Halbdunkel konnte ich sehen, wie sein Gesicht purpurrot anlief - mit solcher Anstrengung ­wollte er eine negative Antwort des Geistes ­verhindern. Denn ein Geist, der nicht an Spiritismus glaubt, wäre ja wirklich kein Geist.
Ich war entschlossen, nicht nachzugeben, und sollte es mein Handgelenk kosten. Mit übermenschlicher Kraft drückte ich das Glas ­in die Richtung »Nein«, während Kunstetter es zum »Ja« hinmanövrieren wollte. Minutenlang tobte der stumme Kampf im Niemandsland des Fragezeichens. Dann brach das Glas entzwei.
»Der Geist ist böse«, sagte jemand. »Kein Wunder bei solchen Fragen.«
Kunstetter massierte sich die verkrampften Finger und hasste mich. Ich wollte wissen, ob ich eine Frage stellen könnte, deren ­Antwort nur mir allein bekannt wäre. Kunstetter bejahte widerwillig und warf ein frisches Glas in den Ring. »Was hat mir mein Onkel Egon zur Bar­ Mizwa geschenkt?« fragte ich.
»Teurer Bruder Egon, gib uns ein Zeichen!« Kunstetters Stimme klang flehentlich in die Dunkelheit. »Erscheine, Onkel Egon! Erscheine! Ich zog meine Hand zurück, um nicht verdächtigt zu werden, dass ich den Gang der Ereignisse beeinflusse. ­Und dann geschah es. Nach einigen Minuten erschien Onkel Egons Geist, das Glas bewegte sich, und die Antwort lautete:
»P-I-N-G-P-O-N-G.«
Draußen auf dem Balkon kam ich wieder zu mir. Der triumphierende Kunstetter flößte mir gerade ein drittes Glas Brandy ein. An meinem dreizehnten Geburtstag, zur Feier meiner Mannwerdung, hatte ich von Onkel Egon tatsächlich ein Ping- Pong geschenkt bekommen. Schweißgebadet verließ ich die Seance. Ich kann mir das alles bis heute nicht erklären. Auch Onkel Egon, der in Jaffa lebt und sich bester Gesundheit erfreut, weiß keine Antwort.

 

 

Ein Aberglaube kommt selten allein

Jetzt, da ich bereits Großvater bin, fühle ich mich verpflichtet, ein Geheimnis zu verraten, das ich bisher hinter dem unauffälligen Benehmen eines nüchternen, brillentragenden Intellektuellen verborgen habe. Ich bin in den letzten Jahren einem Laster verfallen. Ich wette gegen mich selbst. Und zwar wette ich, ob eine bestimmte Angelegenheit gut ausgehen wird oder nicht. Wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, und warum sollte es, sind die ersten Symptome dieser Wettleidenschaft bereits im Alter von neun Jahren bei mir aufgetreten.

Ich benutzte auf dem Schulweg immer den Rand des Gehsteigs und kam dabei auf folgende Wette: Wenn es mir gelingt, mit normal großen Schritten keine Querlinie auf den Randsteinen zu berühren, wird mir der Lehrer nicht draufkommen, dass ich die Hausaufgabe im Rechnen vergessen habe. Um es kurz zu machen, die Querlinien blieben unberührt, und der Lehrer war krank. So fing es an.

Mit 14, also an einem Wendepunkt meiner Biographie, ging ich einmal die vier Stockwerke von unserer Wohnung hinunter und setzte alles auf eine Karte. Wenn die letzte Stufe des Treppenhauses auf eine ungerade Zahl fällt, dann, so wettete ich mit mir, wird das Ziel meiner Sehnsucht, das blonde Mädchen aus der gegenüberliegenden Wäscherei, sich Hals über Kopf in mich verlieben. Bis heute erinnere ich mich an diese letzte Stufe. Sie fiel auf die Zahl 112. Ich habe mich nicht in Jolankas Nähe gewagt, und unsere hoffnungsvolle Liebe endete, vom Treppenhaus zum Tode verurteilt.

Manchmal wurde meine Besessenheit fast unerträglich, besonders während des Zweiten Weltkriegs. Eines regnerischen Nachmittags, am Budapester Donaukai, wehte mir der Sturm den Hut vom Kopf, und während ich losrannte, schloss ich eine Wette ab: Wenn ich den Hut erwische, bevor er ins Wasser fällt, wird Adolf den Krieg verlieren. Ich erwischte den Hut, bevor er ins Wasser fiel. Der Rest ist Geschichte. Das soll nicht heißen, dass ich das Schicksal des Dritten Reichs besiegelt habe. Aber immerhin...

Nach dem Krieg entspannte sich die Situation ein wenig. Nur noch gelegentlich wettete ich gegen mich, etwa dass ich mit geschlossenen Augen und ohne anzustoßen durch die nächste Türe gelangen müsste, um das Gelingen eines Plans herbeizuführen. Prompt stieß ich mit dem Kopf gegen den Türrahmen, und vorbei war es. Das Schlimmste ist, dass man die Wette nicht wiederholen darf. Wenn man gegen die Wand stößt, hat man verloren. So verlangen es die Regeln.
Ich hatte gehofft, dass ich mir das mit den Jahren abgewöhnen würde, aber jetzt wird es immer schlimmer. Und es tröstet mich nicht, dass auch andere dieser pseudoreligiösen Leidenschaft verfallen sind. Einer meiner Freunde macht lebenswichtige Entscheidungen davon abhängig, ob auf seinem morgendlichen Busticket die Ziffer 7 auftaucht. Ein anderer, im Bankwesen tätig, überlässt Entscheidungen des nächsten Tages dem Druckknopf seines Fernsehapparates: Wenn er ihn abstellen kann, bevor zum Programmabschluss die Nationalhymne beginnt, wird er eine bestimmte Transaktion durchführen. Wenn nicht, dann nicht.

Auch menschliche Elemente schleichen sich in die Wettsysteme ein. Ich mache einen Spaziergang, sehe einen anderen Spaziergänger auf mich zukommen und spüre in allen Knochen: Wenn ich den Laternenpfahl zwischen uns als erster erreiche, wird der Schekel nicht abgewertet. Eine solche Wette verlangt äußerste Fairness, denn es ist natürlich verboten, schneller zu gehen. Es ist bestenfalls erlaubt, ganz unauffällig längere Schritte zu machen.

*

Ähnliches spielt sich auf Rädern ab. Ich meine die »Bremsenlose Wette«, die sich unter Profis großer Beliebtheit erfreut. Dabei nähert sich der Fahrer bei roter Ampel langsam der Kreuzung und erreicht sie genau in dem Augenblick, wenn sie auf Grün wechselt. Wenn das gelingt, bleibt er während der nächsten Jahre gesund. Das ist übrigens eine Wette, die besonders starke Nerven voraussetzt. Einmal, ich hatte gerade auf das Glück meiner eigenen Familie gewettet, fuhr ich unaufhaltsam auf die rote Ampel zu, die erst im allerletzten Augenblick grün wurde. Ich müsste mir noch auf der Kreuzung den kalten Schweiß von der Stirne wischen. Aber die Zukunft meiner Kinder war gesichert.
Dann gibt es noch die »Honda- Wette«. Sie besteht, wie der Name andeutet, darin, dass man die Anzahl der Hondas errät, denen man zwischen Tel Aviv und Haifa begegnen wird. Wenn man die Wette ein paar Mal gewonnen hat, muss man allerdings gestehen, dass man das Resultat (843) im voraus weiß. Na und? Dann ist es eben eine kontrollierte Wette. Mal etwas anderes. Dann und wann kann man sich ruhig einen kleinen Schwindel erlauben. Wenn ich zum Beispiel bei rotem Licht vor einer Kreuzung anhalten muss und die Augen schließe, um sie genau beim Wechsel auf Grün zu öffnen, wird mir niemand ein kleines Blinzeln in Richtung Ampel verbieten. Kein vernünftiger Mensch begibt sich blindlings in Gefahr. Man lebt nur einmal.

Warum erzähle ich das alles? Ich erzähle es zwecks Hebung der öffentlichen Moral.
Ich fuhr nämlich gestern mit dem Aufzug zur 11. Etage unseres stolzen Wolkenkratzers, des Schalom-Turms, und ging eine höchst riskante Wette ein, indem ich den Knopf drückte, meine Augen schloss und die Etagen zu zählen begann. Die Wette ging um nicht mehr und nicht weniger als das Schicksal unseres Landes: »Wenn ich bis zur 11. Etage richtig zähle, werden wir endlich Frieden mit unseren arabischen Nachbarn haben.« Ich zählte mit äußerster Konzentration, und wirklich, als ich die Augen öffnete, hielt der Aufzug in der 11. Etage. Es stimmte auch umgekehrt, als der Aufzug in der 11. Etage hielt, öffnete ich die Augen. Es war ein vollkommen ausgewogenes, ganz und gar überzeugendes Resultat, ein Sieg auf der ganzen Linie.
Künftige Generationen, so hoffe ich, werden zu schätzen wissen, was ich für sie getan habe.